Phasen der Pandemie

Containment-Phase:

In dieser Phase wird versucht, die Ausbreitung des Erregers einzudämmen. Folgende Maßnahmen werden hierzu ergriffen:

  • Identifizierung der Infektionsfälle
  • Nachverfolgung der Kontaktketten
  • Isolation der identifzierten Fälle (Quarantäne)
  • Social Distancing

Bei Auftreten von Fällen, die nicht mehr auf einen bereits identifizierten Fall zurückzuführen sind, geht die Pandemiebekämpfung in die Protection-Phase über.

Protection-Phase:

In dieser Phase steht der Schutz von Personen und Gruppen, die ein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe aufweisen, im Vordergrund.

Da es nicht gelungen ist, alle Fälle und Kontaktketten zu Beginn des Ausbruchs zeitnah nachzuverfolgen, stieg die Zahl der Neu-Infizierten pro Tag in einer Größenordnung an, dass eine behördliche Verfolgung der Fälle mit den vorhandenen Ressourcen nicht mehr möglich war. Damit erfolgte der Einstieg in die Mitigation-Phase.

Mitigation-Phase:

Diese Phase hat das Ziel, die Zahl der Neuinfektionen auf ein für das Gesundheitssystem handhabbares Niveau zu senken. Hierzu werden harte Maßnahmen zur Durchsetzung von Kontaktbeschränkungen und diszipliniertem Verhalten der Bevölkerung umgesetzt. Wichtige Kennzahl für diese Minderungsstrategie ist die Reproduktionszahl R.

R = Anzahl der Personen, die eine einzelne Person tendenziell anstecken kann

Das Helmholtz-Institut für Infektionsforschung beschreibt in seinem aktuellen Positionspapier [26] folgende epidemologische Szenarien für die COVID-19-Infektionen im Hinblick auf die Lockerung von Kontaktbeschränkungen:

Szenario 1: Lockerung der Kontaktbeschränkungen auf R>1:
Massive Überlastung des Gesundheitssystems innerhalb weniger Monate.
Jede Lockerung geltender Beschränkungen ohne flankierende andere
Maßnahmen, beschleunigt die Erreichung der Peakbelastung des Gesundheitssystems sowie die Höhe des Peaks.

Szenario 2: Lockerung der Kontaktbeschränkungen mit flankierenden Maßnahmen auf R~1:
Kontrollierte Lockerung der Beschränkungen und Einführung geeigneter flankierender Maßnahmen. Kontinuierliches Wirksamkeitsmonitoring über epidemologische Kenngrößen. Anpassung der Maßnahmen zur Erreichung des R-Zielwerts 1.

Mit Hilfe dieser Vorgehensweise sollte das Gesundheitssystem stabil bleiben und die Versorgung der Patienten sichergestellt werden.
Risiken / Unsicherheiten bestehen bei der Abschätzung der Patientenzahlen, der Empfindlichkeit des Gesamtsystems sowie der Zeitverzögerung des Wirkungseintritts von Maßnahmen.

Eine vollständige Immunisierung der Bevölkerung dauert bei diesem Ansatz gemäß der Vorhersagen verschiedener Modelle zu lange und führt zu einer hohen Zahl an Todesopfern [27, 28]. Letztere bleibt auch bei der Annahme einer hohen Dunkelziffer oder eines lang anhaltenden Immunschutzes der Infizierten bestehen [29].

Szenario 3: Weiterführung der Kontaktbeschränkungen mit flankierenden Maßnahmen auf R<1
Kontaktbeschränkungen werden beibehalten und mit zusätzlichen Maßnahmen begleitet, um R dauerhaft unter 1 zu halten.

Bei Anwendung dieser Strategie zeigen alle bisherigen Simulationsmodelle eine signifikante Reduzierung des Virus in der Gesellschaft. Eine genaue Abschätzung der Zeitdauer ist aufgrund der großen Streuung der Modelle aktuell nicht möglich. Optimistische Abschätzungen liegen bei einigen Wochen. Je strikter die Maßnahmen, desto schneller wird der Zielwert erreicht.

Nach Zielwerterrreichung ist eine schrittweise Maßnahmenaufhebung denkbar. Zur Prävention einer erneuten Ausbreitung sind aber auch hier zusätzliche begleitende Maßnahmen erforderlich wie:

  • Ausgeweitete Tests, um Neuinfektionen früh zu identifizieren und wirksam gegensteuern zu können.
  • Anwendung einer konsequenten Isolationsstrategie bei neuen Krankheitsfällen
  • Parallele Durchführung von Antikörpertests in der Bevölkerung, um die Durchseuchungsrate und Personen zu identifizieren, bei denen vorerst kein Infektionsrisiko mehr besteht.

Der Weg aus der Pandemie

Aus epidemologischer Sicht empfiehlt das Gutachten des Helmholtz-Instituts für Infektionsforschung vom 14.04.2020 eindeutig die Fortführung von Szenario 3. Allerdings wird in dem Papier auch explizit darauf hingewiesen, dass eine rein epidemologische Betrachtung für eine abschließende Beurteilung nicht ausreichend ist.

Die 3. Leopoldina ad hoc Stellungnahme [30] vom 13.04.2020 betont, dass aufgrund der durch die Coronavirus-Pandemie verursachten psychischen, sozialen, wirtschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und politischen Probleme eine rasche Eindämmung der Ausbreitung der Pandemie weiterhin höchste Priorität habe. Hierbei empfehlen die Autorinnen und Autoren ausdrücklich, Kriterien und Strategien für die allmähliche Rückkehr in die Normalität zu entwickeln.

Wie eine gesundheitlich, wirtschaftlich und soziologisch vertretbare Lockerung der aktuellen Beschränkungen erreicht werden kann, beschreibt das am 02.04.2020 von einer interdisziplinären Gruppe von Wissenschaftlern erarbeitete Positionspapier [31]. Darin wird eine differenzierte, stufenweise, unter kontinuierlicher Risikoabwägung durchzuführende Lockerung der Einschränkungen empfohlen. Der Stufenplan priorisiert Beschränkungen, die hohe wirtschaftliche Kosten verursachen oder zu starken sozialen und gesundheitlichen Belastungen führen. Das Papier empfiehlt bei der Durchführung von Öffnungsschritten, mit Bereichen niedriger Ansteckungsgefahr zu beginnen. Die Experten erwähnen hierbei explizit, dass Kindertagesstätten und Schulen zuerst geöffnet werden sollten.

In ganz Europa sind die Infektionszahlen hoch. Eine einheitliche Strategie im Umgang mit der Pandemie ist bisher allerdings nicht vorhanden. In einem am 18. Dezember 2020 in der medizinischen Fachzeitschrift „Lancet“ veröffentlichten Artikel riefen renommierte Wissenschaftler*innen zu einer gemeinsamen europäischen Strategie auf und zeigten einen Aktionsplan auf, um weitere Infektionswellen zu verhindern [32].


Quellen

[26] Helmholtz-Institut für Infektionsforschung, Helmholtz-Positionspapier zur epidemologischen Situation 14.04.2020, Web-Publikation, 2020. https://www.helmholtz-hzi.de/fileadmin/user_upload/Aktuelles/News_Pressemitteilungen/2020/PDFs/Helmholtz-COVID-19-Papier_web.pdf

[27] J. R. Donsimoni, R. Glawion, B. Plachter, K. Wälde, J. Gutenberg, medRxiv 2020, 1-26. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.03.26.20044214v1.full.pdf

[28] S. Khailaie, T. Mitra, A. Bandyopadhyay, M. Schips, P. Mascheroni, P. Vanella, B. Lange, S. Binder, M. Meyer-Hermann, medRxiv 2020, 1-18. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.04.04.20053637v1.full.pdf

[29] M. V. Barbarossa, J. Fuhrmann, J. Heidecke, H. V. Varma, N. Castelletti, J. H. Meinke, S. Krieg, T. Lippert, medRxiv 2020, 1-14. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.04.08.20056630v1.full.pdf

[30] Leopoldina Akademie der Wissenschaften, 3. Adhoc-Stellungnahme 13.04.2020, 1-18. https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2020_04_13_Coronavirus-Pandemie-Die_Krise_nachhaltig_überwinden_final.pdf

[31] A. Abele-Brehm, H. Dreier, C. Fuest, V. Grimm, H.-G. Kräusslich, G. Krause, M. Leonhard, A. W. Lohse, M. J. Lohse, T. Mansky, A. Peichl, R. M. Schmid, G. Wess, C. Woopen, Die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie tragfähig gestalten, Empfehlungen für eine flexible, risikoadaptierte Strategie, 2020, 1-30. https://www.helmholtz-hzi.de/fileadmin/user_upload/Aktuelles/News_Pressemitteilungen/2020/PDFs/Coronavirus-Pandemie-Strategie-Fuest-Lohse-etal-2020-04.pdf

[32] V. Priesemann et. al., The Lancet 2020, DOI:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)32625-8, Calling for pan-European commitment for rapid and sustained reduction in SARS-CoV-2 infections – The Lancet